Partygestählte Fun-Legionen: Was den endlosen Spaß der Generation Techno ausmacht
Raven ist nicht erst seit dem Wochenende ein Leistungssport, der über Leichen geht. Es herrscht die Pflicht, »gut drauf« zu sein, gut bei Kasse, fit und rundum unkaputtbar: Lächeln statt schwächeln. Spaßbremsen und Partymuffel unerwünscht. Techno ist der Soundtrack der gepushten, pushenden, atomisierten Individuen, die sich im orgiastisch-ozeanischen Gefühl auflösen wollen, und 48 Stunden am Tag happy sind. Techno ist der Soundtrack der totalen Affirmation des Bestehenden – des totalitären Konformismus, der sich zugleich für höchst individuell und in Einzelfällen auch für »hedonistisch« hält. Kurz: Techno ist die Musik, die die technokratische Konsumgesellschaft des Spätkapitalismus sich redlich verdient hat.
»Ursprünglich enthält das Ich alles, später scheidet es eine Außenwelt von sich ab«, meinte Freud. Zu dem infantilen, noch uneingeschränkt herrschenden Lustprinzip gesellt sich als Korrektiv das Realitätsprinzip, das sich beim Erwachsenen behauptet. Es sei denn, die Kulturindustrie hebelt die Korrektive aus, um die Kaufkraft anzukurbeln, und bringt so ewig infantile Erwachsene als ideale Konsumenten hervor. Während Adorno noch beklagte, auf Schritt und Tritt von Reklametafeln belästigt zu werden, wird die Generation Techno höchstens noch vom lästigen Drumherum gestört, dem, was außerhalb der vielversprechenden Reklamerahmung existiert, und zwar so unangenehm real, daß es ausgeblendet gehört.
Ursprünglich war Techno subversiv, eine Minderheitenveranstaltung zwischen »Reclaim the Streets« und gewagtem Industrial-Ambiente. »Das ist doch nur Lärm«, meinten enervierte Erwachsene Anfang der 90er, wenn sie hören mußten, was in den Ohren rebellischer Teenager Musik war. Dionysisches Stampfen, Sirenen und Bohrmaschinen setzten Energien frei. Vor allem in Fitneßstudios, beim Joggen, Shoppen und Poppen – sofortige Triebabfuhr bis zum Abturn. Damals richteten einige auf Indie oder Punk spezialisierte Clubs einen Wochentag für Techno und House ein, die Musik der »neuen Subkultur«. Schon ein paar Jahre später richteten die wenigen Clubs, die nicht nonstop Techno spielten (der jetzt nur noch House hieß), großzügig einen Wochentag für reichlich kommerzialisierte Indie- und Grunge-Abende ein. Auch die Dresscodes hatten sich geändert; hin zum Noblen und Schicken. Das alte Überlebensprinzip der Mods aus den 60ern – während der Woche malochen, um sich die teuren Klamotten und Pillen leisten zu können, sich am Weekend ausklinken, bevor der triste Alltag wieder losging – wurde modifiziert einer breiten Masse nähergebracht. Sangen The Who noch: »Things they do look awful c-c-cold/I hope I die before I get old«, so klang die aseptische Techno-Musik selbst »awful c-c-cold«. Die Generation Techno – awful c-c-cool und altklug – machte alles besser, schneller und unmittelbar verfügbar. Wunscherfüllung right here, right now. McWoodstock, McSexual Revolution, McFit und McFun. Die »I want it now«-Generation wollte alles sofort haben, per Knopfdruck oder Mausklick. Seid ihr alle gut drauf? – Jaaaaa!!!
Individuation, die sich mit sofortiger Wirkung im kollektiven Glück auflösen soll, wird zum Handicap, wenn’s mit der Ich-Erlösung bei der Vermassung nicht sofort klappt – die Pille mit Verspätung zündet, die Partyzone gesperrt ist, die Musik zu leise, der DJ zu lahm etc. Dann entstehen Aggressionen; plötzlich fällt den dicht an dicht dünstenden Körpern auf, daß es vielleicht gar kein so großes Vergnügen ist, in glühender Hitze mit der Masse zu verschmelzen. Daß das Warten gar keine größte Vorfreude, sondern bloß die größte Zumutung ist.
Techno war innerhalb weniger Jahre so breit und fett geworden, daß sich bald nur noch innerhalb des Techno differenzieren ließ, was einem gerade um die Ohren flog: House, Deephouse, Trance, Schranz, Goa-Trance usw. Die Love Parade wurde zum Liebesparadies made in Germany. An »Friede, Freude, Eierkuchen«, dem Motto der ersten Parade, gibt es für ostentative Ja-Sager nicht das mindeste auszusetzen. Die »politische Demonstration« war von Anbeginn das Event der programmatischen Entpolitisierung. Bei der siebten Auflage lernte Karl-Theodor zu Guttenberg, statt auf einer Spur aus Haargel auszurutschen, seine spätere Gattin kennen. Wer auf die Love Parade ging, wollte nichts verändern, sondern Spaß am Bestehenden haben.
2005 verscherbelte Matthias »Dr. Motte« Roeingh sein Love-Parade-Konzept an McFit, was Sinn machte, denn die Technojünger waren ungemein fit und sportlich, Durchstarter statt Durchhänger. McFit und McFußball sorgten fürs regelmäßige McSommermärchen. Es sei am Rande erwähnt, daß die Massen, die ein Augenzeuge im »Nadelöhr« des Tunnels in Duisburg filmte (um es sofort auf YouTube zu posten), gerade eine McFußball-Hymne intonierten.
Amüsierpflicht als Hochleistungssport. Der Schlachtruf »Seid ihr alle gut drauf?!!« wurde zum brachialen Vergnügungskommando. Es herrscht der Leistungswettbewerb partygestählter Fun-Legionen.
Sonntag auf n-tv: Die Party ist noch nicht zu Ende. Sanitäter seien angegriffen worden, berichtet ein Moderator. Ein Augenzeuge schildert, wie ein Polizist jemandem den Puls fühlte und ihn für tot erklärte, ohne Wiederbelebungsmaßnahmen auch nur zu erwägen. Statt dessen seien die Freunde des Opfers, die erste Hilfe leisten wollten, mit Plastikhandschellen fixiert und ruhiggestellt worden. Einiges spricht dafür, daß die Veranstalter die Musik weniger aus Angst vor einer weiteren Massenpanik weiterlaufen ließen; vielmehr aus Angst vor spontaner Massenerhebung – von Massen, die sich um ihr Recht auf Fun betrogen gefühlt hätten. Schließlich war den Kids die Party versprochen worden, und Versprechen müssen gehalten werden.
An der n-tv-Vor-Ort-Kamera laufen ein paar versprengte Party-Animals vorbei, winken und johlen. And the beat goes on. Einer der vorbeilaufenden Raver springt grinsend ins Bild, um mit beiden Händen das Victory-Zeichen zu machen. »Ich« im Fernsehen! Hat überlebt und an Wichtigkeit gewonnen.
Das sind keine Kinder, denen erst erklärt werden müßte, was eine Beerdigung ist, sondern junge Erwachsene der Infantilgesellschaft. Viele sind mit ausdrücklicher Erlaubnis der Eltern da, die sich wohl gesagt haben: Besser Love Parade als Chaostage! Denn hier wird schließlich nur konsumiert bis zur Selbstzerstörung, nicht etwa ein Konsumartikel im Schaufenster zerstört.
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